Rudolf Hettich

Rudolf Hettich

Umweltpädagoge, NaturSpielRaumPlaner, Erlebnispädagoge, Spieltherapeut, Naturfotograf und Buchautor.
Leiter der freien Bildungseinrichtung GNU (Gesellschaft für Natur- und Umwelterziehung e.V.), des Verlags Rudolf Hettich, Leiter von natürlich & anders (Spielraumgestaltung Hettich) und der Schule für Schöpferische Erziehung.

Urspiel ist das Spielen in und mit der Natur und deshalb in Räumen nicht möglich. Es geht beim Urspiel nicht um ein Zurück zur Natur, nicht um Naturpoesie und Romantik, nicht um eine Verniedlichung der Natur, sondern ausschließlich um eines: Das Urspiel ist für Kinder der wichtigste elementare Zugang zur Natur in ihrem ganzen Leben und die Grundlage für den Aufbau eines Naturgewissens.

Viele Orte – viele Formen

Das Urspiel ist für Kinder nicht nur im Wald, auf der Wiese oder am Bach, sondern auch in kleinsten Naturräumen im unmittelbaren Wohnumfeld (sofern vorhanden und Erwachsene es zulassen) umsetzbar.

Das Urspiel zeigt sich bei Kindern in den unterschiedlichsten Tätigkeiten und Formen: In eine Pfütze springen, durch Wasser und Schlamm waten, am Bach einen Staudamm bauen, wilde Tümpel graben, Froschlaich sammeln, Gräser, Blumen und Blätter pflücken, auf einer Wiese rennen, sich fangen und balgen, die Blüten von Blumen mit dem Fuß abköpfen, sich verstecken in Hecken und Sträuchern, kleine Wildtiere fangen, festhalten und untersuchen, Äste abbrechen, Steine und Zapfen werfen, auf Bäume und Sträucher klettern, hangeln und herunterspringen, mit Stöcken auf Baumstämme klopfen, über Baumstämme springen und balancieren, Rinde von Bäumen abziehen, Löcher und Höhlen in die Erde graben, mit Naturmaterialien kochen und backen, einen Hang, eine Böschung oder einen Berg herunterrutschen, kullern und purzeln, mit Stöcken kämpfen, Bau eines Lagers in Sträuchern und Bäumen und ein Feuer entfachen.

Sinnfindung und Sinngebung

In der Begegnung mit dem Urspiel hat bei Kindern alles einen Sinn, auch das kindliche Zerstören von Pflanzen und das unabsichtliche Töten eines kleinen Käfers durch seine Überbelastung im Spiel. Besonders bei kleinen Kindern gibt es im Umgang mit Pflanzen, Tieren und Naturmaterialien noch keine seltene Pflanze, kein geschütztes Tier oder ein gefährdetes Biotop, sondern nur Spielgelegenheiten und Spielräume, die besser oder schlechter sind. Urspiel ist für Kinder Begegnung aus erster Hand, ist Begegnung mit dem Eigentlichen, mit dem Original und nicht mit dem Abbild, das nur irgendwie vermittelt wird, ist nicht Wissen und nicht Anschauung, sondern gespielte Wirklichkeit in der Natur. Im Urspiel des Kindes gibt es keinen Wettbewerb und keinen Rucksack voller Ergebnisse, keinerlei Bewertung durch Erwachsene sowie keinen Sieger und keine Verlierer. Das Urspiel ist ein Geschenk der Schöpfung und kein künstliches Massenprodukt, es ist die Einheit von Kind und Material und die Quelle seiner Kraft. Im Urspiel wirkt dieselbe Energie, die eine Blume zum Blühen bringt, das ein Vogel fliegt, die Biene ihre Waben baut, die Wolken ziehen und das Wasser fließt. Urspiel ist kein Kinderkram, keine nutzlose Zeitverschwendung, sondern die Befriedigung urmenschlicher Bedürfnisse.

Rudolf Hettich (Auszug aus dem Buch "Spielplätze für Kinderseelen")